Von Schlangenbad bis Wiesbaden
Startpunkt
Zielpunkt
Hotel Schlangenbader Hof
Rheingauer Str. 7
65388 Schlangenbad
Schloss Biebrich
Rheingaustraße 140
65203 Wiesbaden
Naturgemäß wurde ich ziemlich früh wach. Doch im Gegensatz zum sonst obligatorischen Lunchpaket hatte ich mich heute für ein Frühstück im Hotel entschieden. Da das erst um 7 Uhr begann, hatte ich noch eine ganze Weile Gelegenheit, in meinem kuscheligen Bett zu bleiben und verträumt durch das Fenster zu schauen. Unzählige Gedanken kamen und gingen. Mein letzter Tag auf dem Rheinsteig stand bevor, und erneut begann ich jene Melancholie zu spüren, die mich kurz vor dem Abschluss solch großer Wanderabenteuer häufig befällt.
Ungleich stärker aber wog die Vorfreude, und durch das reichhaltige Buffet gestärkt, nahm ich die finalen 18 Kilometer in Angriff. Gleich hinter der Lochmühle, die man am Ortsrand von Schlangenbad passiert, schickt sich das Höhenprofil dann auch schon an, dem "Rollercoaster" der Fernwanderwege erneut alle Ehre zu machen.
Was diese letzte Etappe dagegen vermissen ließ, war das zumindest für mich auf dem Rheinsteig zu schätzen gelernte Einsamkeitsempfinden. Schon aus dem kleinen Ort Georgenborn, der eigentlich nur gestreift wird, wehte ein Hauch von Zivilisation herüber. Und auch die Wanderparkplätze begannen plötzlich in einer ungewohnt dichten Abfolge zu erscheinen.
So zum Beispiel am "Grauen Stein". Ein wundervolles Naturmonument und sichtbarer Teil eines gewaltigen unterirdischen Quarzganges, der aber wegen ebenjener guten Erreichbarkeit häufig auch als Kletterfelsen herhalten muss.
Nur wenige Schritte weiter erreichte ich den "Monstranzenbaum" - oder vielmehr das, was von ihm übrig ist. Einer Legende nach von einer Äbtissin des Klosters Tiefenthal an jener Stelle gepflanzt, vergrub sie in Kriegszeiten eine wertvolle Monstranz unter ihm. Bei der vergeblichen Suche, sie wiederzufinden, starb sie vor Erschöpfung. Der Baum aber wuchs weiter in Form einer Monstranz - bis er im Jahr 2009 ein Opfer der "Verkehrssicherung" wurde, und man ihn fällte.
Der Rheinsteig folgt nun einem breiten Weg quer durch den Wald, der sich dort, wo es lichter wird, als Pfad auf den Sommerberg fortsetzt und schließlich in den "Schlangenpfad" abbiegt. Auf ihm gelangt man nach Frauenstein; und schon kündigt sich jenseits des Tals der nächste Berg an. Und es ist - man mag es kaum glauben - tatsächlich der letzte auf dem gesamten Weg von Bonn nach Wiesbaden.
Es heißt also noch einmal durchzuatmen, und die Weinmadonna an der linken Seite kündigt sie quasi an: Denn mit den Stufen auf den "Spitzen Stein" hinauf bezwingt man die finalen bergan führenden Höhenmeter des gesamten Fernwanderwegs. Dort oben erwartete mich der Goethestein, und der erinnert nicht nur an den Besuch des größten deutschen Dichters am 6. Juli 1815, sondern markiert auch den Punkt, ab dem der Rheinsteig auf seiner verbleibenden Route bis zum südlichen Terminus nur noch bergab führt.
Ein großer Moment, und ich genoss ihn wahrhaftig. Eine ganze Weile an der gemauerten Brüstung stehend, ließ ich meinen Blick von diesem letzten exponierten Aussichtspunkt noch einmal über den Rheingau schweifen. Auch der Rhein selbst zeigte sich wieder von weitem sichtbar - und ihm würde ich von nun an wieder mit jedem Schritt näherkommen.
Allerdings fühlte ich mich durch einige Youtuber auch vorgewarnt, die in ihren Berichten die letzte Passage durch Wiesbaden übereinstimmend nicht besonders gut wegkommen ließen. Deshalb nutzte ich diesen beeindruckenden Moment der Aussicht, um mich vorausschauend schon hier emotional von diesem unvergleichbar schönen Wanderabenteuer zu verabschieden. Ähnlich, wie ich es ein Jahr zuvor auf der Siegfriedskanzel tat, bevor ich den offiziellen, aber völlig überlaufenen Zielpunkt des "Bergischen Wegs" auf dem Drachenfels-Plateau erreichte.
Zunächst aber sind es passender Weise noch einmal die Weinberge und Obstwiesen, die als eines seiner wesentlichsten kulturellen Merkmale dem Rheinsteig nun ein letztes Mal ihren Stempel aufdrücken. Aber sie beginnen auch, die unwiderrufliche Rückkehr in die Urbanität einzuleiten. Und zumindest gefühlt ereignet sich dieser Kipppunkt spätestens an jenem kleinen Fußgängertunnel in Wiesbaden-Schierstein, durch den man auf die andere Seite der Bahngleise kommt.
Hier gesellt sich kurz der Lindenbach an die Seite, auch wenn er - in eine Betoneinfassung gezwängt, dadurch allenfalls den Charme eines Abwasserkanals versprüht. Immerhin begleitet er den Wanderer bis kurz vor den Schiersteiner Jachthafen. Dahinter war ich dem Rhein dann plötzlich wieder so nah, wie es auf dem Rheinsteig sonst nur in Bonn oder Koblenz der Fall ist. Das wäre normalerweise auch jetzt bis zum Ende so geblieben - gäbe es nicht immer noch die Ewigkeitsbaustelle an der Schiersteiner Brücke.
Die sorgte dann tatsächlich für ein richtig unangenehmes Stück neben der vielbefahrenen Rheingaustraße her, bevor man - den weißblauen Logos sei Dank - wieder in die Rheinwiesen zurückfindet. Und wo ein Biergarten mich nur 500 Meter vor dem Ziel noch einmal spontan, doch in sehr willkommener Weise ausbremste und zu einer genüsslichen Pause mit einem kühlen Radler verleitete. Aber: hatte ich nicht unendlich viel Zeit?
Ein letztes Mal schulterte ich den Rucksack, und nur wenige Minuten später sah ich es vor mir: Schloss Biebrich. Wie im Traum ging ich die Stufen der Schloss-Rotunde hoch. Von dort blickte ich über die belebte Straße und die schattenspendenden Bäume der Fußgängerallee hindurch auf den vorüber fließenden Rhein. Ich fühlte einen unbändigen Triumpf, und doch wurde mir gleichzeitig bewusst, dass mein Rheinsteig-Abenteuer - genau hier und in diesem Moment - sein Ende fand.
Zur Feier des Tages hatte ich mir im nahegelegenen Biergarten des "Dilthey-Hauses" noch ein tolles Abendessen gegönnt und eine letzte Hotelnacht gleich neben dem Biebricher Schloss verbracht. Erst am nächsten Morgen spazierte ich gemütlich - und immer noch geflasht von meinen zahlreichen Eindrücken - durch den Schlosspark in Richtung Bahnhof.
Der Rheinsteig lag hinter mir - und es wird dauern, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Doch die Erinnerung an das, was ich während jener 18 Ausnahmetage erlebte, wird mir niemand mehr nehmen können und - da bin ich sicher - stets lebendig bleiben. Und allen Menschen, die meine Erzählung als Motivation verstehen, sich mit dem Rheinsteig eines der sagenhaftesten Wanderwege anzunehmen, sage ich:
Überlegt nicht lange. Packt den Rucksack, schnürt die Wanderschuhe, und lauft los.
Denn was nicht zurück kommt, ist die Zeit.
Die Stufen zum Glück: Der südliche Terminus des Rheinsteigs ist erreicht.
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