Von Lorch bis Rüdesheim
Startpunkt
Zielpunkt
Bahnhof Lorch
65391 Lorch
Niederwalddenkmal
65385 Rüdesheim am Rhein
Es sollte ein wolkenloser und richtig heißer Tag werden. Und so saß ich bereits am frühen Morgen im allerersten Zug, der von Sankt Goarshausen, wo ich übernachtet hatte, in Richtung Lorch fuhr. Denn um der für den Mittag angekündigten Hitze möglichst zu entgehen, wollte ich noch vor 6 Uhr auf dem Trail sein. Tatsächlich (und dieses Glück hatte ich anfangs gar nicht auf dem Schirm gehabt) blieb ich während der ersten drei Stunden trotz längst aufgegangener Sonne weitgehend im Schatten - dem durchgehend ansteigenden Gelände an meiner östlichen Seite sei Dank.
Unabhängig davon begann dieser Weg auf die gleiche Weise wie schon viele Etappen zuvor: mit einem Anstieg aus dem Ort heraus. So blieb Lorch unter mir zurück, während ich durch kultivierte und brachliegende Weinberge schritt und ein zwischenzeitliches Waldgebiet die schon früh recht warme Luft noch einmal angenehm abkühlte. Anschließend ging es dem Waldsaum entlang, und das zum Rhein abfallende Gelände ließ die Sicht frei werden auf eine riesig klaffende Wunde im linksrheinisch bewaldeten Berghang, die ein Steinbruch dort zwischen den Orten Niederheimbach und Trechtingshausen gerissen hat.
Mit der "Georgs-Ruh" erreichte ich einen herrlich gelegenen Pausenplatz, und in einem Souvenir-Schränkchen (die Bezahlung erfolgt auf Basis des Vertrauens) fand ich ein kleines Andenken an diesen tollen Fernwanderweg. Anschließend umläuft man - wieder waldreich - den Bodentaler Bach, bevor an einer Wegbiegung die sonst durchweg tadellose Beschilderung nach ewig langer Zeit mal wieder eine punktuelle Schwäche aufweist.
Der kleine Pfad nämlich, der hier abrupt übernimmt, ist fast zugewachsen, und ohne meinen digitalen Track wäre ich kaum auf die Idee gekommen, ihm zu folgen. Dabei führt er geradewegs in den Teufelskadrich, einem wilden Gebiet aus bewaldeten Steinhängen. Und fast könnte man meinen, die gewaltigen Felsmassen hätten im Sinn, sich jederzeit in Bewegung zu setzen. Natürlich fehlt auch die passende Sage dazu mit Ritter, Teufel und Berggeistern nicht.
Bald wird jener karge Bereich durch einen Mischwald abgelöst, doch bleibt der Pfad abenteuerlich. Am "Bacharacher Kopf" entlang und zwischen Felswänden und steil abfallenden Abhängen hindurch, verjüngt er sich dabei teilweise extrem. Und dann, ehe man sich versieht, steht man plötzlich auch schon wieder auf einem breiten Weinbergweg.
Während auf der anderen Seite des Rheins Burg Rheinstein vorüberzieht, geht es mit der "Rotweinlaube" zu einem weiteren schönen Pausenplatz und durch neuerliche, recht großflächige Weinberge. Am sogenannten "Höllenberg" windet sich der Weg dann über mehrere Haarnadelkurven nach Assmannshausen hinunter, während die Sonne zur einsetzenden Mittagszeit - und gerade hier auf besonders steile Weinberghänge treffend - nun doch richtig heiß zu brennen beginnt.
Genau jetzt will es der Zufall, dass der (wohl auch unter normalen Umständen äußerst schweißtreibende) Aufstieg zum Jagdschloss Niederwald beginnt. Und während eines kurzen, aber richtig qualvollen Moments war ich tatsächlich versucht, die anstehende Herausforderung mit Hilfe der verlockenden Sesselbahn zu überspringen. Aber ich besann mich. Das packst du jetzt!, dachte ich. Denn alle bisherigen Strapazen und Herausforderungen wären entwertet gewesen, hätte ich dieser spontanen Laune jetzt nachgegeben.
Mit einer steilen und schattenlosen Asphaltstraße kam der brutalste Abschnitt glücklicherweise gleich zu Beginn. Denn kaum im Wald, wurde die Sache schon deutlich erträglicher. Hoch ging es dennoch, immer weiter und weiter. Und ja, es gibt sie tatsächlich, diese bösen Millisekunden, in denen man sich fragt, warum man statt zu wandern nicht einfach Briefmarken sammelt. Dann war ich oben, und schon wurde mir wieder klar, dass ich tatsächlich kein anderes Hobby brauchte als das, welches ich mit dem schönsten der Welt doch längst besaß.
Obwohl nur noch fünf Kilometer vor dem Etappenziel, setzen die richtig großen Highlights erst hier ein, im Niederwald von Rüdesheim. Und die folgen nun Schlag auf Schlag. Es beginnt mit der Zauberhöhle, deren Eingang man schnell verpasst hat, aber die, kaum in sie eingetreten, ein Hindurchtasten in absoluter Dunkelheit verlangt. Schon kurz darauf folgt die Aussichtskanzel des "Rittersaals", und - wiederum nicht weit entfernt - die Ruine Rossel.
Dort war ich nichtsahnend an die Brüstung getreten - und blickte nun ganz unvermittelt auf Bingen. Hier, wo der Rhein eine seiner bedeutendsten Richtungsänderungen vornimmt und den berühmten Mäuseturm umspült, finden die gewaltigen Berg- und Hügelketten, über die ich rechtsrheinisch hergewandert kam und die beiderseits den gesamten Mittelrhein begleitet haben, fast schlagartig ihr südliches Ende und fallen in die oberrheinische Tiefebene ab.
Mich dagegen überfiel eine wahre Springflut der Euphorie. Aber ich war nicht allein, und so beherrschte ich mich - sonst wäre sicher wieder das eine oder andere Tränchen geflossen. Es ist der Wahnsinn!, dachte ich, was für eine Strecke du gelaufen bist. Denn zählte ich den Bergischen Weg aus dem letzten Jahr dazu, bin ich aus meiner Heimatstadt Essen nahtlos bis hierher unterwegs gewesen. Rational wollte es mir gar nicht in den Kopf. Aber wozu auch? Ich stand hier und war einfach nur glücklich.
Und dennoch war ich nicht am Ziel. Der "Naheblick", wiederum nur einen Steinwurf entfernt, wartete ebenfalls noch darauf, besucht zu werden. Dass viele Bereiche des Niederwalds trotz eines Dienstages recht überlaufen waren, störte mich überraschenderweise kaum noch. Fast schien es mir, als schwebte ich die letzten Meter, die mich jetzt noch vom Niederwalddenkmal trennten - und der hoch auf dem gewaltigen Sockel thronenden Germania.
Sie, die seit 1883 an dieser Stelle die "Wacht am Rhein" innehat, bildete dann zweifelsfrei den kulturellen Glanzpunkt des Tages - und das Ende meines heutigen, 22 Kilometer langen Weges. Aber es vollzieht sich hier auch - erstmals richtig erkennbar - der grundlegende charakteristische Landschaftswechsel vom Romantischen Rhein zum Rheingau.
Die wenigen Meter bis zum Niederwaldtempel folgte ich dem Rheinsteig noch. Von hier aus wird er mich dann (und das hoffentlich schon bald) auf meinen verbleibenden vier Etappen durch gänzlich neue Gefilde führen. Und darauf freue ich mich sehr!
Jetzt aber gönnte ich mir mit der Seilbahn eine entspannte Talfahrt: Über die sanft abfallenden Weinberge hinweg nach Rüdesheim hinunter. Nicht nur, um den Bahnhof zu erreichen, sondern um diesen grandiosen Tag zuvor noch mit einem richtig leckeren Rüdesheimer Kaffee zu krönen. Ich fand, den hatte ich mir verdient.
Zwischen Niederheimbach und Trechtingshausen klafft ein gewaltiger Steinbruch im bewaldeten Berghang
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